1. Die gesellschaftliche Herausforderung

1.1 Kosten für das Gesundheitssystem und volkswirtschaftlicher Schaden

1.2 Raucherquote, Rauchstopp-Versuche und Rauchstopp viel zu spät!

1.3 Die Macht der Tabakabhängigkeit

1.1 Kosten für das Gesundheitssystem und volkswirtschaftlicher Schaden

Hohe Zusatzkosten für die Gesetzliche Krankenversicherung

S3-Leitlinie
„In der Gesetzlichen Krankenversicherung treten die Belastungen deutlich zutage: hier verursacht ein Raucher Zusatzkosten gegenüber einem Nichtraucher in Höhe von 27.578 €, Raucherinnen aufgrund niedrigerer Beiträge sogar von 146.164 €.“

Zugleich Mehrbelastungen für die Gesetzliche Rentenversicherung

Grundsätzlich wirkt ein Faktor wie das Rauchen zwar aufgrund der Erhöhung der Mortalität „entlastend“, dennoch stellt ein Raucher bzw. eine Raucherin für die Gesetzliche Rentenversicherung eine Mehrbelastung über die Lebenszeit in Höhe von 6.000 € respektive 44.000 € dar.

PDF-Link
S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“

Rund 30 Mrd. € direkte Kosten

Somit sind in Deutschland 14,6% der Gesamtausgaben im Gesundheitssektor durch das Tabakrauchen verursacht. Insgesamt summieren sich in Deutschland die direkten und indirekten Kosten des Rauchens auf rund 97 Mrd. € pro Jahr.

Rund 67 Mrd. € indirekte Kosten

Hinzukommen intangible Kosten, wie Einschränkungen der Lebensqualität oder das Leid und die Schmerzen der Betroffen, die mit rund 99 Mrd. € pro Jahr angesetzt werden.

Link
Drogen- und Suchtbericht, Bundesgesundheitsministerium, S.43

Volkswirtschaftlicher Schaden rund 97 Mrd. €

Rauchen macht nicht nur krank, sondern belastet auch das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft finanziell in großem Ausmaß.

Video-Link
ntv | 31.05.2022|0:01:45 Min.

Dr. Tobias Effertz, Universität Hamburg, zu:
Kosten des Rauchens in Deutschland

Video-Link
WHO-Video | 31.05.2022|0:01:45 Min.

Jährlicher Schaden: Herstellung und Konsum von Tabak

  • 8 Millionen Menschenleben,
  • 600 Millionen Bäume,
  • 200.000 Hektar Land,
  • 22 Milliarden Tonnen Wasser und
  • 84 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2.

Steuereinnahmen rund 15 Mrd. €

Die meisten Studien ergeben trotz der Tabaksteuer Milliarden Kosten statt Überschüsse für den Staat.

Finanzwissenschaftler haben bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung durch das frühere Sterben von Rauchern Einsparungen berechnet. Die Berechnung wurde jedoch von anderen Wirtschaftswissenschaftlern als unrealistisch bezeichnet.

Der Sprecher des GKV-Spitzenverbands, Florian Lanz, sagte dazu:

«Das häufig relativ frühe Sterben von Menschen aufgrund ihrer Nikotinsucht ist ein Drama, und ich finde es befremdlich, daraus einen wirtschaftlichen Nutzen für eine Gesellschaft zu errechnen.»

«Die Krankenkassen unterstützten gezielt Personen bei der Rauchentwöhnung, weil es uns um deren Gesundheit geht und nicht wegen eventueller langfristiger Vor- oder Nachteile für die Sozialkassen».

Link
Pharmazeutische Zeitung, Florian Lanz

1.2 Raucherquote, Rauchstopp-Versuche und Rauchstopp viel zu spät!

Immer mehr Deutsche greifen wieder zur Zigarette

  • Vor der Corona-Pandemie lag der Anteil der Raucherinnen und Raucher in der Bevölkerung ab 14 Jahren bei etwa 26 bis 27 Prozent. Es sei eine erschreckende Entwicklung, sagt der Epidemiologe und Debra-Leiter Univ.-Prof. Dr. Daniel Kotz anlässlich des Weltnichtrauchertags am 31. Mai 2022.

Immer weniger ernsthafte Rauchstopp-Versuche

  • Hinzu kommt, dass seit Jahren immer weniger Raucherinnen und Raucher einen ernsthaften Rauchstopp-Versuch unternehmen. Laut DEBRA-Studie vom Dezember 2022 nur noch 8%.
Link
DEBRA-Studie, Deutsche Befragung zum Rauchverhalten

Hochrechnung von erfolgreichen Rauchstopp-Versuchen pro Jahr in Deutschland

Viel zu wenige Raucherinnen und Raucher schaffen pro Jahr den Sprung in die dauerhafte Abstinenz.

„Raucher mit sehr ausgeprägter Abhängigkeit und/oder psychischer Komorbidität und/oder tabakassoziierter somatischer Erkrankung benötigen eine spezielle Expertise der betroffenen fachärztlichen Disziplin(en) und/oder der spezialisierten Suchtbehandlung bzw. Psychotherapie.

Für diese Gruppe bedarf es einer spezialisierten Tabakabhängigkeitstherapie analog der Suchtbehandlung für andere psychotrope Substanzen, die hinsichtlich Therapieintensität, Behandlungskomplexität und -umfang weit über die bislang verfügbaren „Raucherkurse“ hinaus gehen muss.“

PDF-Link
Stephan Mühlig, „Genussmittel“ Zigarette – Mythos vs. wissenschaftliche Erkenntnisse

Ableitung aus Literatur und Studien

Hintergrund-Informationen: Daniel Kotz, Anil Batra, Sabrina Kastaun, Rauchstoppversuche und genutzte Entwöhnungsmethoden – Eine deutschlandweite repräsentative Befragung anhand sozioökonomischer Merkmale in 19 Wellen von 2016–2019 (DEBRA-Studie)

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Deutsches Ärzteblatt 1-2/2020, Rauchstoppversuche und genutzte Entwöhnungsmethoden

Hoher Therapie-Aufwand
= Geringe Nutzung 
Am Beispiel von Präventionskursen nach § 20 SGB V

Die in der Versorgungspraxis dominierenden GKV-finanzierten „Nichtraucherkurse“ mit hohen Erfolgsquoten werden von Raucherinnen und Raucher viel zu selten in Anspruch genommen.

  • Neben Selbstüberschätzung, ggf. finanziellem Eigenanteil, Vorfinanzierung und vielen alternativen Methoden, meist nicht evidenzbasiert, ist vorrangig der zusätzliche Aufwand im Raucher-Alltag maßgeblich für die extrem geringe Inanspruchnahme.
  • Kursbesuche, Ausfüllen von Selbsthilfe-Manualen oder Strichlisten fördern die Non-Adhärenz.

  • Tabakabhängige Patienten, insbesondere wenn kein ausgeprägter Leidensdruck vorhanden ist, sind wenig motiviert, dauerhaft zusätzlich Handlungen durchzuführen.

Link
GKV-Spitzenverband, Präventionsberichte, 2022 ff

S3-Leitlinie
„Bei der Planung von Interventionen sollte berücksichtigt werden, dass mit zunehmender Intensität einer Intervention die Akzeptanz bei der Zielgruppe und somit deren Erreichbarkeit sowie der Anteil der regulären Beender sinkt.“

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S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“

Selbst bei den über 60-jährigen ist der Raucheranteil noch hoch

„Das Problem ist, Raucherinnen und Raucher schaffen es viel zu häufig viel zu spät, im Durchschnitt nach fünf bis zehn Versuchen, die sich teilweise über Jahrzehnte erstrecken können. Bis dahin sind längst irreversible Schäden und rauchbedingte Krankheiten verursacht worden.“

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Ärztezeitung, Stephan Mühlig, Raucher: „Entwöhnung kommt oft viel zu spät“

Aber: „Es ist nie zu spät aufzuhören …

sagt Lungenfacharzt Robert Loddenkemper. Messungen des Ausatemstoßes hätten gezeigt, dass Abstinenz selbst im Alter von 65 Jahren noch Tod und Behinderung um rund fünf Jahre herauszögern kann.“

Ein frühzeitiger Austieg ist aus medizinischer Sicht die beste Alternative

„Rauchende verlieren im Vergleich zu nichtrauchenden Personen im Durchschnitt 10 Jahre ihres Lebens (Doll et al. 2004). Die größten Risiken tragen diejenigen Raucher und Raucherinnen, die über lange Zeit rauchen sowie junge Raucher und Raucherinnen, die fortgesetzt rauchen. Ein Rauchstopp bringt in jedem Lebensalter einen sofortigen Rückgewinn an Lebenserwartung. So geht ein Rauchstopp zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr mit einem Rückgewinn von 8 Jahren einher, ein Rauchstopp eine Dekade später, also zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr, noch mit einem Gewinn von 4,5 Jahren.“

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S3-Leitlinie “Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“

1.3 Die Macht der Tabakabhängigkeit

Das Abhängigkeitspotenzial von Nikotin wird leider nach wie vor unterschätzt!

 „Bei einem festen Vorsatz, endgültig mit dem Rauchen aufzuhören und sich nie mehr eine Zigarette anzustecken, liegt die Abstinenzwahrscheinlichkeit eine Woche nach der Vorsatzbildung bei 25 %, weitere sechs Monate später bereits unter 5 %.

Ein beträchtlicher Teil der Raucherinnen und Raucher ist nicht in der Lage aufzuhören, selbst wenn sie einen chirurgischen Eingriff infolge tabakbedingter Krankheiten vor oder hinter sich haben.

  • Etwa 40% Patientinnen bzw. Patienten, denen der Kehlkopf entfernt wurde, versuchen bald danach weiter zu rauchen.
  • Rund 50% der operierten Lungenkrebspatienten nehmen nach der Operation das Rauchen wieder auf.

Das Verhalten einer Raucherin bzw. eines Rauchers mag für deren Umgebung wie auch den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin unverständlich sein, insbesondere wenn sie bereits an einer tabakbedingten Folgeerkrankung leiden. Warum hören sie nicht einfach damit auf und verschaffen sich dadurch unmittelbar eine deutliche Linderung ihrer Krankheitssymptome?

Ein fester Vorsatz oder ein klares Bekenntnis zu einem Rauchstopp scheint eine notwendige, aber keine ausreichend Bedingung für einen erfolgreichen Ausstieg zu sein.

Das spiegelt sich in der großen Diskrepanz wider zwischen dem Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören und der Quote der tatsächlichen Änderungen des Rauchverhaltens.

Diese Abstinenz-Unfähigkeit erklärt sich zu großen Teilen aus der Kontrollminderung, die es abhängigen Raucherinnen und Rauchern schwer macht oder gar verunmöglicht, den Konsum mit einer bloßen Willensentscheidung zu beenden.“

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DHS, Tabakabhängigkeit, Suchtmedizinische Reihe, Band 2, Anil Batra, Peter Lindinger